„An der Quelle ist das Wasser am reinsten.“
Dies war meine vierte Reise zum Rikhia Ashram in Indien. Das erste Mal war ich 2004 anlässlich des Rajasuja Maha Yajna, einem Feuerritual zum Wohle der Region.
Seitdem hat sich der Ort sozial, bildungsmäßig und wirtschaftlich rasant entwickelt - noch vor fünfzig Jahren gab es keinen Strom. Inzwischen haben Smartphones und Elektrotaxis Einzug
gehalten.
Wir, eine 23-köpfige Reisegruppe aus Deutschland, kamen gegen 3.30 Uhr müde im Ashram an - der Zug hatte etwa acht Stunden Verspätung. Unser Reiseleiter Swami Marutdeva meinte, er habe so etwas
noch nie erlebt. Nach einer kurzen Nacht brachte uns ein Ashram-Taxi zum Abendessen in die Annapurna-Küche, wo es leckeres indisches Essen gab, und weiter zum Akhara (Ritualplatz) für die
Vorbereitungen zu Shivaratri; aufgrund der Entfernungen zwischen den verschiedenen Ashram-Komplexen organisierte der Ashram einen eigenen Personentransport.
Shivaratri bedeutet „Shivas Nacht“. Es ist ein traditionelles indisches Fest zu Ehren von Shiva, dem großen Yogi und Symbol des Bewusstseins. Das
Fest richtet sich nach dem indischen Mondkalender und findet am 14. Tag des Monats Phaguna statt, nach westlichem Kalender Ende Februar/Anfang März.
Swami Suryaprakashananda, der Leiter des Ashrams, berichtete über das bunte Treiben im Ashram. Im Panchayat, der dörflichen Region, zu der ca. 18 Dörfer gehören, werden die Unterprivilegierten unterstützt. Insbesondere die Ausbildung der Kanyas (Mädchen im Alter von ca. 6 bis 16 Jahren) als zukünftige Mütter Indiens ist ein wichtiges Anliegen. Sie werden in Englisch und Informatik, in den klassischen Schriften wie Bhagavad Gita und Ramayana sowie in Yoga unterrichtet. Schulmaterial, Computer, Kleidung und Verpflegung werden zur Verfügung gestellt. Weitere Aktivitäten sind die Organisation traditioneller Feste, Fortbildungen, Trainings, Medizincamps und Sportfeste für Jugendliche, um nur einige zu nennen.
Swami Suryaprakashananda betonte, dass es sich nicht um Wohltätigkeit handele, sondern um ein Wirken im Geiste des Yoga. Über allem stand das Motto von Swami
Sivananda: Serve Love Give.
Am nächsten Tag wurde Shivaratri gefeiert. Mehr als tausend Gäste, unter anderem aus Deutschland, Italien und Indien, waren anwesend. Im Laufe des Tages wurde viermal feierlich Aradhana, die
Reinigung und Verehrung, am Shivalingam vollzogen. Der Shiva Lingam ist ein ovales Objekt, das, eingebettet in die Shakti Yoni, Bewusstsein und Energie symbolisiert. Pandits aus Varanasi, der
Stadt Shivas, sangen und ein fünfter Pandit wusch und schmückte den Shivalingam. Kirtan (Mantrasingen), Einweihungen und Tänze der Kanyas waren weitere Programmpunkte. Den Abschluss bildete die
Verehrung von Swami Satyananda, dem Gründer des Ashrams, an seinem Grab. Bis spät in die Nacht wurde gesungen und getanzt.
Swami Satsangi erklärte, dass die Aradhana hier keine religiöse Motivation habe. Die Verehrung diene dazu, mit dem Unmanifesten, Formlosen, Unbewussten in Kontakt zu kommen. Die Handlung folgte
einem klaren Ablauf. Beispielsweise dienten Mantras und Yantras der Bewusstseinserweiterung. Gewohnte Muster konnten abgelegt und die Erfahrung des höheren Selbst ermöglicht werden. Für mich war
das Ritual ein Werkzeug, das eine symbolische Brücke zu den tieferen Kräften der Psyche schlug. Das gemeinsame Chanten und Singen und das Wahrnehmen der Aradhana mit allen Sinnen bündelte
Bewusstsein und Energie - jemand verglich es mit einem Laserstrahl.
Die nächsten Tage waren geprägt von Karma Yoga (absichtsloses Tun) und Seva (selbstloses Tun). Dies äußerte sich in alltäglichen Arbeiten wie Putzen, Aufräumen, Lagerhaltung, Gartenarbeit, Pflege
des Ritualplatzes, Computerarbeit und Ordnung von medizinischen Hilfsmitteln. Ein typischer Tag konnte so aussehen:
06:00-07:30 Yoga & Meditation
08:00-08:30 Frühstück
09:00-11:00 Karma Yoga/Seva
11:30-12:00 Mittagessen
12:00-13:30 Freie Zeit
14:00-15:00 Yoga Nidra & Nada Yoga
15:30-16:30 Karma Yoga/Seva/Satsang
17:30-18:00 Abendessen
21:00 Ende des Tages
Karma Yoga, das Tun ohne an die Früchte zu denken, ist einer der klassischen Yogawege. Meine Lehrerin, Acharya Swami Prakashananda Saraswati,
sagte, sie glaube nicht, dass man diese Erfahrung außerhalb eines Ashrams machen könne. Die Arbeit hatte noch einen anderen Aspekt: Die Energie, die durch Yoga freigesetzt wird, kann in einen
positiven Ausdruck umgewandelt werden. Es kann ein Weg sein, Egozentrik zu überwinden. Kleine Taten der Freundlichkeit können ein Anfang sein. Swami Sivananda sagte einmal: „Freundlichkeit ist
wie heilender Balsam. Sie lindert Leiden... Kleine Wassertropfen bilden den großen Ozean. Und so bilden kleine Taten der Freundlichkeit einen Ozean des Wohlwollens“.
Ein Höhepunkt waren die Satsangs mit Swami Satsangi, der Piethdishwari. Sie ist das Herz des Ashrams. Ihr Leben ist geprägt von Sadhana (Yogapraxis). gegenüber. Inzwischen ist sie 71 Jahre alt
und hat sich aus der Leitung zurückgezogen. Sie tritt in die Fußstapfen ihres Meisters. Fragen beantwortet sie mit Natürlichkeit und Klarheit: Ihre Stimme hat einen glockenhellen Klang, die Sätze
sind moduliert und pointiert. Im Satsang saß ich in der zweiten Reihe und es war, als säße ich in einem Fusionsreaktor. Gleichzeitig wirkte sie rührend bescheiden. Als das Thema auf unsere
katastrophale Zugverspätung kam, tadelte sie unseren Reiseleiter nicht ohne Humor und sagte, dass es jetzt auch Flüge nach Deoghar gäbe - Hurra!
Nach zehn Tagen digitalfreier Zeit im Ashram ging es wieder los. Mein Fazit: An der Quelle ist das Wasser am reinsten. Die Reise hat meine Definition von
Yoga aktualisiert. In unserer schnelllebigen Zeit, in der persönliche Erfahrungen zugunsten digitaler Informationen verdrängt werden, in der die Dauer direkter menschlicher Kontakte
durch die Zunahme medialer Kontakte verkürzt wird und in der die Kommerzialisierung von Yoga mit der Abnahme persönlicher Einsichten zunimmt, erscheint mir diese Reise wie ein Jungbrunnen. Swami
Satsangi lud ein, jederzeit den Ashram zu besuchen und in den yogischen Lebensstil einzutauchen. Einer der Mitreisenden sagte: "Ich bin gekommen, um meinen Tank zu füllen. Ich kann sagen: Mein
Tank ist gefüllt.
Kommentar
Der Reiseleiter Swami Marutdeva bietet Mitte Februar 2025 wieder eine Retreatreise nach Indien an. Bei Interesse bitte melden unter: kontakt@eiryu.de
Swami Satyasangananda Saraswati
Swami Satyasangananda Saraswati wurde 1953 in Chandernagore, Westbengalen, Indien geboren. Trotz moderner Erziehung entschied sie sich für das traditionelle Leben
der Entsagung und Sannyasa. Sie wurde am 6. Juli 1982 beim Ganga Darshan in Munger in die Dashnami-Tradition des Sannyasa eingeweiht. Swami Satsangi ist eine inspirierende Lehrerin und
Schriftstellerin. Sie ist Autorin bedeutender Texte über Yoga und Tantra wie Sri Vijnana Bhairava Tantra: The Ascent", Karma Sannyasa", Light on the Guru and Disciple Relationship" und The
Descent". Eines ihrer bekanntesten Bücher, Tattwa Shuddhi: The Tantric Science of Inner Purification, beschreibt eine essentielle Praxis der inneren Erfahrung, die sie selbst entwickelt und
vorgestellt hat. Am 1. Januar 2007 wurde sie zur Piethadhishwari von Rikhiapieth ernannt.
Ashram Adresse
Rikhiapeeth Postfach Rikhia Dist. Deoghar, Jharkhand, 814113 Indien.
Tel: +91 9102699831
Foto: Kolkata, Park
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Sattwa (Michaela) (Mittwoch, 15 Mai 2024 11:44)
Hari om lieber Tanmatra,
danke für diese schönen Worte und das wunderschöne Foto.
Herzlich
Om Tat Sat
Sattwa